“Das Urheberrecht hat einen Kern, über den man nicht verfügen kann”
- 25. März 2011
- von Jan Rymon
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Interview mit Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins, zum Ausgang des Google Book Settlement
Denny Chin hat mit seiner Ablehnung des Google-Buchsuche-Vergleichs Rechtsgeschichte geschrieben, in dem er klarstellt: Das Urheberrecht ist ein Eigentumsrecht, über das niemand ohne Einwilligung des Rechteinhabers verfügen kann. Boersenblatt.net hat mit Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang über die Folgen für Rechteinhaber und Vergleichsparteien, über die künftige Nutzung digitalisierter Werke und über den Umgang mit vergriffenen Werken gesprochen.
Was bedeutet die Ablehnung des Google Book Settlement für die Rechteinhaber – auch in Deutschland?
Mit dem Spruch von Denny Chin ist ein für alle Mal der Fall abgewendet, dass Google geschützte Inhalte nutzt, ohne den Inhaber der Rechte vorher zu fragen – mit anderen Worten, es gibt künftig nur noch das „Opt-in“-Modell. Und das gilt ganz unabhängig davon, wo dies geschieht. Natürlich kann niemand Google daran hindern mit dem Einscannen fortzufahren – aber dann muss der Konzern damit rechnen, dass man ihn verklagt, zumindest sobald die entstandenen Dateien vervielfältigt oder sonst kommerziell genutzt werden. Die Situation ist aber auch für Google nicht ganz einfach: Das Unternehmen hat sich ja vertraglich dazu verpflichtet, als Dienstleister der großen amerikanischen Bibliotheken deren Bestände zu digitalisieren. Die Frage ist dabei nur, ob das der reinen Bestandssicherung der Bibliotheken dient, oder ob darüber hinaus gehende Nutzungen erfolgen.
Und was passiert, wenn Google die Buchdateien dennoch nutzt?
Dann ist dies auf jeden Fall eine flagrante Verletzung des Urheberrechts – „wholesale, blatant copying“, wie es in Denny Chins Beschluss heißt.
Spielen die kleinen Buchausschnitte – die „snippets“ –, die das Verfahren gegen Google vor Jahren ins Rollen gebracht haben, noch eine Rolle?
Nein, darüber regt sich heute kaum noch jemand ernsthaft auf. Viel wichtiger ist die Frage des Vertriebs ganzer E-Books. Hier will Google ja im Wettbewerb mit Amazon und Apple mit seinen Editions mitmischen. Unter Missachtung von Urheberrechten wird das nun jedenfalls selbst in den USA nicht mehr gehen.
Wollen die Vergleichsparteien das Verfahren fortsetzen?
Google wird wahrscheinlich nichts anderes übrig bleiben, wenn die Digitalisierung nicht umsonst gewesen sein soll. Aber auch der Verlegerverband AAP und die Authors Guild haben ein Interesse an einer Klärung, zumal Anwalts- und Gerichtskosten in exorbitanter Höhe angefallen sind. Bis zur Status Conference am 25. April, zu der Denny Chin die Parteien bestellt hat, werden sie das weitere Vorgehen eruiert haben. Ob ein Vergleich, der eine Opt-in-Regelung voraussetzt, überhaupt noch zweckmäßig sein kann, sei dahingestellt. Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, bei Millionen von eingescannten jahrzehntealten Büchern ein Opt-in mit einer hohen Zustimmungsquote durchführen zu können.
Gibt es denn einen Ausweg aus dem Dilemma, einerseits möglichst viele vergriffene Werke online zugänglich zu machen und andererseits vorhandene Rechte nicht zu verletzen?
Eine pragmatische Lösung hat die VG Wort beschlossen, in dem sie den Wahrnehmungsvertrag auf die Digitalisierung vergriffener Bücher ausgedehnt hat, die bis zum 31. Dezember 1965 erschienen sind und heute in keiner Form mehr lieferbar sind. In diesen Fällen kann die VG Wort für nicht kommerzielle Zwecke – also namentlich die geplante Deutsche Digitale Bibliothek – eine Lizenz erteilen und verteilt den Lizenzerlös dann titelbezogen an Autoren und Verlage. Dabei bekommen die Werkberechtigten Informationen über die Nutzung der vergriffenen Titel und können diese nach Widerruf und Rückzahlung der Lizenzgebühr jederzeit wieder selbst bewirtschaften. Wenn der deutsche Gesetzgeber mitspielt, wird diese Möglichkeit auf sämtliche in Deutschland vor 1966 erschienenen, heute vergriffenen Bücher ausgedehnt. Bei allen Büchern, die ab 1966 erschienen sind oder die noch lieferbar sind, muss hingegen auch weiterhin die Einwilligung des Rechteinhabers eingeholt werden.
Bedeutet die Ablehnung des Settlements im Grunde nicht das Aus für Googles Geschäftsmodell?
Google wird sich sicher die Frage stellen müssen, ob sich der Aufwand für die Massendigitalisierung noch lohnt, wenn das Verfahren auf „Opt-in“ umgestellt wird. Die Erträge könnten drastisch sinken.
Muss in den USA nicht der Gesetzgeber aktiv werden?
Das Department of Justice saß ja mit am Tisch und es hat in den USA ja 2006 und 2008 auch schon Anläufe für gesetzliche Regelungen der Problematik der verwaisten Werke gegeben. Dass diese dort gescheitert sind, hing vor allem damit zusammen, dass Amerika nicht über funktionierende und wirkungsvolle Verwertungsgesellschaften verfügt wie Deutschland und viele andere europäische Staaten.
Hat Denny Chin mit seiner Entscheidung Rechtsgeschichte geschrieben?
Die Autoren und Verleger können sich das Urteil in Gold einrahmen, denn Richter Chin hat darin klar zum Ausdruck gebracht: Das Urheberrecht hat einen Kern, über den man nicht verfügen kann. Es ist ein Eigentumsrecht, und dahinter muss der Anspruch der Internetgemeinde, alle Inhalte zugänglich zu machen, schlicht und einfach zurücktreten.
Aber haben Verlage nicht zumindest eine moralische Verpflichtung, auch im Internet den Zugang zu möglichst vielen Inhalten zu ermöglichen?
Ganz bestimmt. Aber es ist auch eine Mär zu glauben, dass es im Netz eine ständige Nachfrage nach wichtigen Inhalten gäbe, die kommerziell nicht erhältlich sind. Drei von fünf gemeinfreien Büchern, das zeigt eine aktuelle Untersuchung, sind nach ihrer Digitalisierung nicht ein einziges Mal weltweit genutzt worden.
Interview: Michael Roesler-Graichen
Publikation: boersenblatt.net